Katrin Bandel

Medizin und Magie in der modernen indonesischen Prosa

Disputationsvortrag Universität Hamburg 2004


1. Einleitung

Seit der Einführung der Biomedizin im Zuge der Kolonialisierung bestehen in Indonesien verschiedene weitgehend inkongruente Medizinsysteme nebeneinander. Bedeutend sind neben der das staatliche Gesundheitssystem dominierenden Biomedizin vor allem die indigenen Medizinsysteme, die sich von Ethnie zu Ethnie unterscheiden, denen aber weitgehend ähnliche humoralpathologische sowie magische Vorstellungen zugrunde liegen. Bis heute wird die indigene Medizin ausgiebig genutzt, indigene medizinische Vorstellungen sind im allgemeinen den Menschen eher vertraut als biomedizinische. Die Biomedizin gilt allerdings als die zeitgemäßere Option. Indigene Medizin wird höchstens bei der Behandlung von ‚ungewöhnlichen' - d.h. durch Magie oder Übernatürliches verursachten - Krankheiten als sinnvoll und notwendig angesehen. Die komplexen indigenen Medizinsysteme werden so reduziert auf die Aspekte des Magischen, Ungewöhnlichen.
Einerseits scheint bis heute fast jeder in Indonesien zumindest in irgendeiner Form an Magie und übernatürliche Mächte zu glauben, andererseits ist dieser Glaube nicht so recht mit einem Selbstverständnis als moderner Mensch zu vereinbaren. Die ideologisch gesetzte Trennung entspricht also keinesfalls dem Alltagsverhalten: Indigene medizinische und magische Vorstellungen bestimmten und bestimmen das Weltbild vieler Indonesier. So befinden sich Schriftsteller, die sich oft einerseits einer als Aufklärung verstandenen Modernisierung verpflichtet fühlen, andererseits ein getreues Abbild jener Gesellschaft liefern wollen, der sie verbunden sind, in einer besonders spannungsreichen Situation. Wie gehen sie damit um, mit welchen ästhetischen Strategien reagieren sie auf diese Ambivalenz und inwiefern stellt diese ein entscheidendes Moment literarischer Medizin- und Magiedarstellungen in der Prosa der indonesischen Moderne dar?

2. Hikayat Siti Mariah/Ni Rawit

Ausgangs des 19., eingangs des 20. Jahrhunderts scheint die Trennung der Sphären noch kaum ausgeprägt. So wird in dem 1912 erschienenen Roman Hikayat Siti Mariah von Haji Mukti Liebesmagie nicht nur als real wirksam beschrieben, auch daß eine Holländerin von ihr Gebrauch macht, erscheint keineswegs als irgend ungewöhnlich. Zwar tritt ein weiterer Holländer auf, dessen Zweifel an der Existenz von Magie als für einen Holländer charakteristisch dargestellt werden, doch im Endeffekt erweist sich seine ungläubige Haltung als gefährlicher Leichtsinn. Magie ist also in diesem Text etwas, mit dem auch Europäer - zumindest in Niederländisch-Indien - zu rechnen haben.
Kaum hätte dieser Roman den Ansprüchen der ab den zwanziger Jahren für die indonesische Literatur entscheidenden Kolonialinstitution Kantoor voor de Volkslectuur oder Balai Pustaka genügt. Zu deren Vorgaben gehörte auch die absolute Gültigkeit der Biomedizin und die Nichtexistenz magischer Kräfte. Bemerkenswert sind allerdings einige Darstellungen, die diesen Vorgaben zwar vordergründig entsprechen, daher auch im Verlagsprogramm erscheinen konnten, sie zugleich aber unterlaufen. So ist die gesamte Handlungsstruktur des 1935 erschienenen Romans Ni Rawit, Ceti Penjual Orang von A.A. Pandji Tisna geprägt durch das Bemühen, den Realitätsstatus magischer Kräfte offen zu lassen. Situationen, in denen diese wirksam würden, werden auf in der Häufung frappante Weise vermieden. Viermal versucht ein dukun - ein Magier - seine Magie zum Einsatz zu bringen, er läßt magische Objekte verstecken, die aber sogleich aufgefunden werden, er spricht ein Schlafmantra, doch die auserkorenen Opfer sind gar nicht vor Ort und so weiter. Die so gefundene Form stellt einen Balanceakt dar: Es gelingt dem Autor, in einem - dem Verlagsprogramm gemäß: modernen Roman die in seiner Gesellschaft vorhandenen traditionellen Glaubensvorstellungen realistisch wiederzugeben, ohne sie zu affirmieren, was eine Veröffentlichung in diesem Rahmen kaum zugelassen hätte, aber auch ohne sie im Sinne einer aufklärerischen Kritik als rückständig vorzuführen.

3. Belenggu/Ronggeng

Selbst ein Roman wie Belenggu von Armijn Pane, 1940 erschienen, der vom Balai Pustaka abgelehnt wurde und in dem gerade eine Synthese westlicher und indigener Konzepte gefordert wird, beharrt letztendlich auf der ungebrochenen Dominanz der Biomedizin. Die indigene Medizin wird ausdrücklich als irrational abgelehnt, dukun kurzerhand als Betrüger bezeichnet. Auch ist die javanische Lebensphilosophie, die als indigenes Element in die Synthese eingehen soll, sehr wenig spezifisch. So ist davon die Rede, daß der Mediziner in javanischem Geiste arbeiten solle, nämlich beharrlich, gelassen und mit Freude an seinem Tun. Konkrete Vorstellungen einer west-östlichen Synthese, wie er sie andernorts ausführlich am Beispiel der kroncong-Musik entwickelt, kann Armijn Pane also für den Bereich der Medizin offenbar nicht anbieten.
Nachdrücklicher als hier wird den fortdauernden Wertsetzungen des Balai Pustaka eine Aufwertung des Indigenen entgegengesetzt in Texten der in den siebziger und achtziger Jahren aufkommenden Gattung der sogenannten warna-lokal-Romane, die lokale Traditionen und dörfliches Leben thematisieren. So werden in der zwischen 1982 und 1986 erschienenen Ronggeng-Trilogie von Ahmad Tohari die dörflichen Lebensformen mit deutlicher Sympathie gezeichnet und auch die mit der Tradition des ronggeng-Tanzes verbundenen magischen Vorstellungen werden vom Erzähler ganz offenbar geteilt, wenn auch - zumindest am Ende der Trilogie - bestimmte Aspekte des Rituals verworfen werden. In die nichtmagischen indigenen medizinischen Praktiken aber, die Erwähnung finden, läßt sich wenig Vertrauen setzen: Wo sie wirken, geschieht dies eher zufällig. Demgegenüber scheint die Biomedizin, zu der die Dorfbewohner allerdings kaum Zugang haben, deutlich überlegen. Indigene Medizin ist für die Dorfbewohner weniger eine Alternative zur Biomedizin, sie ist schlicht die einzige Form der Medizin, die ihnen zugänglich ist. Daß sie darauf zurückgreifen, kennzeichnet nicht zuletzt die unzureichende Gesundheitsversorgung auf dem Land.

4. Larung/"Dokter"

Das Nebeneinander von biomedizinischen und magisch-indigenen Konzepten ist also prägend für die hier erwähnten Texte. Dabei hat sich einerseits ein Festhalten an magischen Konzepten gezeigt, andererseits aber auch die Dominanz des biomedizinischen Modells und die damit verbundene Verdrängung indigener Ansätze zur Heilung rein körperlicher Erkrankungen. Dies kann sich auch in einer Durchdringung der Bereiche auswirken. In Ayu Utamis Roman Larung aus dem Jahr 2001 stellt es gar für den Titelhelden keine Widersprüchlichkeit dar, den Erfolg einer von ihm in Auftrag gegebenen magischen Sterbehilfe durch eine Autopsie zu prüfen, wobei er sich Formulierungen aus seinem Medizinlehrbuch in Erinnerung ruft.
Dieses Beispiel ist sicherlich kaum als Abbild realer Gepflogenheiten zu sehen. Dennoch: Hybridität ist in einer postkolonialen Gesellschaft kaum außergewöhnlich, sie wird als alltäglich empfunden. So können auch eine Annäherung an die westliche Medizin und ein Festhalten an magischen Vorstellungen gleichzeitig passieren.
Als Moment ärztlicher Praxis wird eine solche Hybridität auch dargestellt in Putu Wijayas 1996 erschienener Erzählung "Dokter". Hier versucht der Arzt dem entgegenzukommen, was - so glaubt er - seine Patienten von ihm erwarten. Dabei greift er auf indigene medizinisch-magische Konzepte zurück. An Magie, so erklärt er zwar, glaube er nicht. Allerdings sagt er dies, unmittelbar nachdem er sich kenntlich wie ein dukun verhalten hat, indem er in seiner Arztpraxis einen Talisman verfertigt hat, der eine Frau bewahren soll vor den gefährlichen Einflüssen des modernen Lebens. Der Arzt entspricht in dieser Erzählung den Erwartungen seiner Patienten: Sie wählen einen Arzt, nicht einen dukun, aber da ihnen die nötigen Kenntnisse über die Biomedizin fehlen, bringen sie unwillkürlich aus der indigenen Medizin stammende Vorstellungen und Erwartungen mit in die Sprechstunde: Sie kommen mit Angelegenheiten, die nicht Sache eines Arztes sind, sie erwarten, daß der Arzt mithilfe seiner magischen Waffe - der Spritze - die Krankheit bekämpft und sich als sakti - als magisch begabt - erweist, und sie stören sich nicht daran, wenn der Arzt seine Geheimnisse wahrt und mit Information und Erklärungen sparsam umgeht. Anders als die Dorfbewohner in der Ronggeng-Trilogie haben die Patienten in "Dokter" Zugang zum biomedizinischen System, doch auch ihnen bleibt dieses System in seinen Grundannahmen fremd. Ihre Unwissenheit ermöglicht ein paternalistisches Verhalten des Arztes und Verstöße seinerseits gegen ärztliche Grundsätze. Allerdings wird dies keineswegs kritisch beleuchtet. Der Arzt kommt schließlich gar zu der Überzeugung, einzig der Glaube an die Genesung könne diese auch bewirken. So läßt sich der Text schließlich als Rechtfertigung der medizinischen Praxis in weiten Teilen Indonesiens lesen: Daß Ärzte den Spritzenglauben ihrer Patienten - daß eine erfolgreiche Therapie ohne die Verabreichung einer Spritze nicht denkbar sei - noch unterstützen, wäre demzufolge nur konsequent. Mit biomedizinischen Konzepten verbindet diesen Biomediziner nicht mehr viel.

5. Atheis/Salah Asuhan/Keluarga Permana

Vergleichbare Krankheits- und Genesungskonzepte finden sich häufiger. Mit einer wenig spezifischen Vorstellung von Biomedizin scheinen sie problemlos zu harmonieren. Dagegen wird zurückgegriffen etwa auf - als solche freilich nicht ausdrücklich benannte - indigene Konzepte.
Das wird deutlich etwa in dem 1949 veröffentlichten Roman Atheis von Achdiat K. Mihardja, dessen Hauptfigur an Tuberkulose erkrankt. Eine enttäuschte Liebe und eine unglückliche Ehe sowie das Schwanken zwischen den Extremen des Glaubens und des Atheismus lassen diese Krankheit immer wieder ausbrechen. Nun ist auch in europäischen Vorstellungen und literarischen Darstellungen die Tuberkulose - als "Schwindsucht" oder "consumption" begriffen als innere Auszehrung - nur zu häufig gedeutet worden als Ergebnis einer verzehrenden inneren Hitze, gleichzeitig Fieber und Leidenschaft. Tuberkulose erscheint, wie Susan Sontag formuliert, "als eine Variante der Liebeskrankheit". Eine ähnliche Vorstellung von der ‚heißen' Natur bestimmter Gefühle - darunter sexuelle Leidenschaft - ist in Indonesien durch das humoralpathologische Heiß-Kalt-Konzept bekannt. Während in den europäischen Darstellungen der Liebes-Hitze tendenziell eine positive Wertung anhaftet, hat nach dem indonesisch-malaiischen Heiß-Kalt-Konzept Hitze jedoch eher negative Konnotationen. Sie wird unter anderem mit Unbeherrschtheit und Unruhe assoziiert. Bei der Darstellung von Tuberkulose in Atheis ist zwar die für europäische Tbc-Darstellungen typische Verquickung der Krankheit mit Leidenschaft und mit Hitze wiederzufinden, doch entspricht die moralische Wertung eher den indigenen indonesischen Konzepten.
Häufiger noch sind allerdings Konzepte, die psychische Ursachen von Krankheiten voraussetzen, ohne aber auf spezifische indigene oder biomedizinische Erklärungsmuster zurückzugehen. So, wenn etwa in Salah Asuhan, einem 1928 erschienenen Roman von Abdoel Moeis, der Held ob seiner unglücklichen Liebe vom Fieber ergriffen wird. Eine Krankheit, die sich schließlich biomedizinisch beseitigen läßt. Und auch in Atheis deutet sich kein Widerspruch an zwischen der humoralpathologischen Deutung und der biomedizinischen Benennung der Krankheit.
In solchen literarischen Deutungsmustern wird noch einmal kenntlich, daß die Biomedizin in ihrer Gültigkeit zwar dominant ist, in ihren Konzepten aber kaum bekannt. Die gängige medizinische Praxis ist kaum geeignet, dem entgegenzuwirken: Biomediziner geben ihren Patienten für gewöhnlich kaum Information über die Diagnose, das Krankheitsbild und die Funktion der Medikation. Sie belassen die Patienten häufig in ihrer Vorstellung, die Symptome - z.B. Fieber oder Husten - stellten bereits die Krankheit dar. Auch der Vorstellung, entscheidend für die Wirksamkeit sei vor allem der Preis des Medikaments oder seine Form - bevorzugt sind etwa Kapseln und Spritzen -, kommen viele Biomediziner in ihrem Verhalten entgegen. Da ein biomedizinisches Krankheitsverständnis kaum vermittelt wird, finden selbst bei der Wahrnehmung biomedizinischer Behandlungen der Biomedizin im Grunde völlig wesensfremde Elemente problemlos Raum. Dies gilt teilweise sogar für das biomedizinische Personal selbst. Hierauf hat z.B. Rosalia Sciortino hingewiesen, die eine Untersuchung der dörflichen Gesundheitszentren in Java durchgeführt hat: Sie spricht von einem Doppelbewußtsein der in diesen puskesmas tätigen Krankenschwestern und -pfleger. Einerseits würden sie in dieser Funktion dukun und indigene Medizin verurteilen, privat aber durchaus darauf zurückgreifen. Andererseits bedienen sie sich auch bei ihrer biomedizinischen Tätigkeit der ihnen vertrauten indigenen Konzepte. Auch dies ein Indiz für den schlechten medizinischen Versorgungszustand in Indonesien: Das Pflegepersonal in den dörflichen Gesundheitszentren hat letztlich die Arbeit von Ärzten zu erledigen, ohne aber eine hierfür ausreichende biomedizinische Ausbildung zu besitzen.
Die literarischen Darstellungen zielen größtenteils keineswegs auf eine Kritik dieser spezifischen Mißstände: Ärztliche Diagnosen spielen kaum eine Rolle, ihr Ausbleiben wird daher auch nicht als Manko wahrgenommen. In einigen Texten ist die für die indonesische Biomedizin typische Vagheit der ärztlichen Angaben gar entscheidend für den Handlungsaufbau: Mit präzisen biomedizinischen Angaben hätte sich z.B. in Ramadhan K.H.'s 1978 erschienenem Roman Keluarga Permana schwerlich operieren lassen. Nur weil die medizinischen Angaben vage bleiben, kann die Schuld an der Krankheit und schließlich am Tod der Hauptfigur deren Eltern zugeschrieben werden.

6. Schluß

Zusammenfassend lassen sich folgende Befunde nennen:

Erstens: Eine strikte Trennung von ‚moderner' Biomedizin und ‚altmodischer' Magie und indigener Medizin ist in der Kolonialzeit konstruiert worden. Trotz aller Bemühungen hat sich der Magieglaube jedoch nicht ausmerzen lassen - sogar in den Balai-Pustaka-Romanen ist er unterschwellig vorhanden. Eine klare Entscheidung für die Biomedizin und gegen den  Magieglauben, wie sie in Belenggu propagiert wird, hat sich als unrealisierbar erwiesen.

Zweitens: Der medizinische Pluralismus und die sich daraus für die biomedizinische Praxis und für das staatliche Gesundheitssystem ergebenden Probleme finden jedoch kaum Beachtung, oder werden gar nicht wahrgenommen. Dies spiegelt sich auch in der Literatur wider: Oft, wie etwa in Atheis, finden sich Mischformen, ohne daß die ihnen innewohnende Widersprüchlichkeit thematisiert würde, oder es besteht - wie in Larung - ein nicht problematisiertes Nebeneinander von Biomedizin und Magie.

Drittens zeigt sich hierbei allerdings eine Tendenz zu unspezifisch nichtwissenschaftlichen Konzepten, also zum Beispiel mentalistischen Erklärungsmodellen, die als Laienkonzepte, aber auch in literarischen Darstellungen wohl weltweit zu finden sind. Da das vertraute indigene System abgewertet wird, die Biomedizin aber in ihren grundlegenden Konzepten fremd geblieben ist, besteht ein Vakuum, das solche Konzepte füllen können.

Viertens werden aus einigen Texten für den medizinischen Pluralismus in Indonesien spezifische Probleme ersichtlich. In der Ronggeng-Trilogie wird kritisch beleuchtet, daß keineswegs jeder Indonesier die freie Auswahl zwischen den Medizinsystemen hat. Ein alleiniger Rückgriff auf die indigene Medizin muß nicht Ausdruck einer selbstbewußten Traditionalität sein, er kann im Gegenteil soziale Benachteiligung anzeigen. In der Erzählung "Dokter" wird zudem sichtbar - allerdings offenbar, ohne daß der Autor dies beabsichtigt hat -, daß vorherrschende indigene medizinische Konzepte und fehlende biomedizinische Bildung zum Fortbestand von Mißständen in der biomedizinischen Praxis beitragen und ein paternalistisches, bevormundendes Verhalten von Biomedizinern ermöglichen.

Hybridität ist für alle kulturellen Bereiche der indonesischen Gesellschaft - wie auch anderer postkolonialer Gesellschaften - kennzeichnend. Traditionen bleiben trotz aller Modernisierungsbestrebungen erhalten oder werden bewußt erhalten, das Nebeneinander von Vorstellungen, die eigentlich unvereinbar sind, wird als normal empfunden, verschiedene Weltbilder vermischen sich. All dies ist hinreichend bekannt und erforscht.
In meiner Studie hat sich allerdings gezeigt, daß diese Hybridität nicht in allen Bereichen in der selben Weise vorhanden ist und wahrgenommen wird. Medizin und Magie sind - anders als etwa Umgangsformen, Kunst oder politische Kultur - Bereiche, bei denen man in Indonesien besonders wenig stolz auf das Indigene ist. Die indigenen Medizinsysteme sind größtenteils lokale, kaum systematisierte und institutionalisierte Traditionen geblieben, anderes als einige andere nicht-biomedizinische Systeme in Asien, etwa die chinesische Medizin oder das Ayurveda. Magische Vorstellungen werden als altmodisch wahrgenommen, häufig zudem als religiös und moralisch verurteilenswert. Weder eine Anerkennung der Medizinsysteme als gleichwertig noch eine Synthese oder Zusammenarbeit von Biomedizin und indigener Medizin sind je ernsthaft angestrebt worden. Die Darstellung der Hybridität der medizinischen Vorstellungen ist daher im allgemeinen wenig direkt: Pluralität, Vermischung wie Unvereinbarkeit der Weltbilder erhalten kaum ein spezifisches Interesse, Widersprüchlichkeiten entstehen in den Texten meist, ohne daß sie zum Thema gemacht würden.
Wahrscheinlich ist, daß sich von der Darstellung von Medizin auf den Bereich der Wissenschaft verallgemeinern läßt, d.h. daß westliche Wissenschaft generell wenig kritisch gesehen und indigenes Wissen als altmodisch und nicht ernstzunehmen beurteilt wird, nicht jedoch völlig untergeht. Besonders betroffen scheinen dabei indigene Vorstellungen von übernatürlichen oder magischen Kräften zu sein: Einerseits werden sie als besonders ‚unwissenschaftlich' und ‚unmodern' erlebt, andererseits wird nur sehr zögernd von ihnen Abschied genommen.


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